Wer kann an virtuellem Glücksspiel mitverdienen? Lassen sich skeptische Eltern für Videospiele begeistern? Und: Game Jams ein Wettbewerb oder Teil der Industrie?
Vorwort
Sind Videospiele ein Produkt oder eine Dienstleistung? Diese Frage lässt sich wahrscheinlich nicht abschließend klären. Letztlich wird es auf eine individuelle Mischung aus beidem herauslaufen. Dabei ist es aber für die Betrachtung eines Spieles wichtig zu wissen, ob es sich als Produkt oder Dienstleistung messen lassen muss. Was das mit der Auswahl vom Februar zu tun hat? Auf den ersten Blick nicht allzu viel, aber vielleicht auf den zweiten. Mit dem Zweiten soll man ja angeblich besser sehen.
Drucksachen
Von der Utopie zur Dystopie: Vom Ursprung der Cyberpunk-Stadtlandschaften
Marc Bonner, GAIN #16, 15. Februar 2021
Typische Aspekte für Cyberpunk-Stadtlandschaften sind unter anderem durchregnete Nachtszenen, dichtgedrängte Wolkenkratzer und die dadurch entstehenden klaffenden Häuserschluchten. Diese im diffusen Schwarz der Nacht liegenden Städte werden meist mit Leuchtreklamen aus Kanji- und Katakana-Schriftzeichen sowie über mehrere Stockwerke reichende Werbebildschirme und Projektionen erleuchtet. Vermüllte Gassen und ein bunter Mix aus Kulturen verweisen zusätzlich auf das Chaos einer über den Horizont hinausreichenden Megacity.
Die Architektur von Gebäuden spiegelt die Geschichte und Kultur einer Gesellschaft wider. Sie bildet ein Motiv, das Spielende diese Geschichte und Kultur mit nur wenigen Erklärungen erkennen lässt. Die retrofuturistischen Welten sind eigentlich eine alternative Zukunft der Vergangenheit, können aber auch eine alternative Zukunft der Gegenwart sein. Vielleicht sollten diese alternativen Welten aber auch ein Fingerzeig auf die Zukunft sein, die uns erwartet, wenn wir nicht bereit sind, für eine Alternative zur Alternative zu kämpfen.
Generation 486: E.T., gepflegte Computerspiele und Paris Hiltons PSP
Michael Brandmiller, GAIN #16, 15. Februar 2021
Haben Frauen etwa generell kein Interesse an Computerspielen? Oder an Zeitschriften? Das ist natürlich völliger Blödsinn. Der Anteil von weiblichen und männlichen Spielern ist quasi fifty-fifty, beim Zeitschriftenkonsum preschen die Leserinnen den lesenden Herren sogar ordentlich davon. Dass Spielemagazine wie die GameStar im Jahr 2020 einen Leserinnenanteil von gerade mal 3% haben, ist ein hausgemachtes Problem.
Es ist historisch gewachsen, dass Technik, Computer und auch Videospiele als Männerdomäne galten. Dabei war das schon damals bedenklich. Zwar gab es in den Redaktionen auch Frauen, aber gemacht wurden die Magazine in erster Linie für Männer. Anstatt aber die eigene Linie zu überdenken, vielleicht sogar mehr Redakteurinnen zu engagieren, und so den Leserinnenanteil zu steigern, fanden sie andere Lösungen. Na ja, nicht wirklich. Bislang hat das ja scheinbar nicht geklappt.
Through Different Eyes ‒ Letzter Teil: Eine neue Ära
Sylvio Konkol, GAIN #16, 15. Februar 2021
Die große Innovation von »Mirror’s Edge« ist allerdings weder die Persönlichkeit oder das Auftreten, noch das Aussehen der Heldin. Es ist die Art und Weise, wie Faith dargestellt und ihr Körper im Spiel fühlbar gemacht wird. […] So ist die »Mirror’s Edge«-Reihe bis heute eines der gelungensten Beispiele für die sicht- und fühlbare Präsenz eines weiblichen Körpers in einem Videospiel, ohne diese Präsenz mit einer übermäßigen Sexualisierung oder Objektifizierung seiner Hauptfigur zu erkaufen.
Klassischerweise folgt die Assoziationskette von First-Person-Shooter zu Gewalt und von Gewalt zur Männlichkeit. Diese Einseitigkeit im Gedankengang an beiden Stellen falsch. FPS müssen nicht zwangsläufig Gewalt beinhalten. In Portal schießt Chell schließlich Portale auf Wände, um sich damit den Weg durch die Testkammern von Aperture zu bahnen. Mirror’s Edge treibt es noch ein Stück weiter: Hier ist der Waffengebrauch gegen Menschen optional. Faith widersetzt sich mit bloßen Händen der kugelfokussierten Staatsgewalt.
Haribo-Tüten statt normale Arbeitszeiten
Dom Schott, Gamestar 03/2021, 17. Februar 2021
Das Phänomen Crunch begleitet die Spielebranche seit ihren Anfängen und beschreibt eine Phase der intensiven Mehrarbeit, die über Wochen oder sogar Monate andauern kann. […] Im Zuge er öffentlichen Diskussion über diese Berichte tauchte dabei auch immer wieder der Begriff ‚Überstunden‘ als Synonym für Crunch auf ‒ eine unzutreffende Gleichsetzung, die langfristig sogar viel Schaden anrichten kann, wie Jörg Friedrich glaubt.
Weitergehend stellt sich nun die Frage, welche Auswirkungen das Bekanntwerden von Crunch in der Entwicklung eines Videospieles nach sich zieht. Wie stark sinken die Verkaufszahlen eines Spiels deswegen? Bewertet die Fachpresse ein Spiel schlechter? Ganz davon zu schweigen, welche körperlichen und psychische Folgen die Beteiligten davontragen. Der öffentliche Diskurs und das Informieren der Zielgruppe sind ein erster Schritt, allerdings muss sich die Presse auch fragen, ob nicht der monate- oder gar jahrelange Hype um solche Spiele den Druck noch weiter erhöht.
Der Siegeszug der CD-ROM
Henner Thomsen, Gamestar 03/2021, 17. Februar 2021
Die Branche glaubte, Texte auf CD würden den Buchdruck ablösen. Sie lag falsch. Heute ist die CD selbst obsolet geworden, doch gedruckte Werke gibt es immer noch, mit Ausnahme der Enzyklopädien und des IKEA-Katalogs. Dabei hat die CD-ROM tatsächlich ein steinzeitliches Medium abgelöst ‒ aber nicht das Buch, sondern die Diskette. Bis es so weit kam, vergingen jedoch viele Jahre.
Publizistikwissenschaftler Harry Pross klassifizierte Medien 1970 nach ihren Produktions- und Rezeptionsbedingungen. Primäre Medien sind Medien, die weder in der Aussendung, noch in der Rezeption technische Hilfsmittel benötigen. Sekundären Medien genügt ein Gerät bei der Produktion und benötigt keines beim Empfang, während dort tertiäre Medien ebenfalls ein Gerät erfordern. Bücher sind sekundäre Medien und bieten dem Rezipienten mehr Freiheiten als CDs, die ein tertiäres Medium darstellen. Wahr ist aber, dass die CD, zumindest als Daten-Medium am Computer ausgedient hat. Nicht einmal der Nachnachfolger, die Blu-ray-Disc, konnte das ändern.
Hyperlinks
Google, das ungeduldige Riesenbaby
Jörg Luibl, 4players.de, 02. Februar 2021
Bei all dem darf man aber nicht vergessen, dass Stadia nicht gescheitert ist – im Gegenteil: Streaming funktioniert. Streaming ist günstiger und für einige komfortabler als klassisches Zocken. Auch technologisch liefert man ab, denn im Gegensatz zum Wettbewerb wie PlayStation Now gibt es sogar ein HDR-Signal und 5.1.-Sound. Die meisten Spiele laufen sauber, selbst wenn sie hohe Ansprüche stellen ‒ Cyberpunk 2077 erreichte fast die Qualität von PlayStation 5 und Xbox Series X.
Per se zu behaupten, Google Stadia sei günstiger, ist etwas zu kurz gedacht. Für monatlich 10 Euro gibt es die Infrastruktur und einige Spiele inklusive. Im Jahr sind das Kosten von 120 Euro. Verglichen mit einem Gaming-PC, der über 1.000 Euro kostet und nach einigen Jahren mindestens nachrüstbedürftig ist, ist das natürlich günstig. Aber verglichen mit den aufgeführten Konsolen hinkt der Vergleich. Die PlayStation 5 kostet in der regulären Variante 499 Euro, ist also bereits nach 4 Jahren und 2 Monaten günstiger. Zwar ist der Lebenszyklus einer Konsole meist länger, aber auch dieser Vergleich hinkt, da ohne ein PlayStation-Plus-Abo die Multiplayer-Funktionen erheblich eingeschränkt sind. Schlussendlich gibt es hier kein „besser“ oder „günstiger“. Über die richtige Variante entscheiden viele Faktoren.
»Für Außenstehende muss das absurd sein«
Markus Böhm, spiegel.de, 28. Februar 2021
Kein Videospiel verkauft sich in Deutschland Jahr für Jahr häufiger als ‚Fifa‘. Doch einigen Spielern und Spielerinnen geht es in der Simulation gar nicht um Fußballpartien. Sie träumen von virtuellen Millionen und überlegen, wie viel echtes Geld sie nachschießen sollten – in ein Spiel, das standardmäßig bereits 70 Euro kostet.
Eigentlich ist es bereits absurd genug, dass Electronic Arts es schafft, in jedem Jahr der neusten Fifa-Auflage die Verkaufscharts anzuführen, obwohl sie Transfers und kleinere Updates zum Vollpreis anbieten. Noch mehr Geld möchte EA mit dem Ultimate Team aus den Taschen kitzeln. Da wundert es dann wenig, dass auch andere Menschen an dem Hype um die Packs und Karten mitmischen will ‒ zumindest bis zum nächsten Fifa-Teil.
Back Seat Gamer Mum
Mirko Lemme, wall-jump.com, 17. Februar 2021
Wenn es nach meinen Eltern gegangen wäre, hätte ich meine Kindheit mehr mit dem Kopf in Büchern statt vor dem Bildschirm verbracht. […] Erst Jahrzehnte später sollte die Welt Videospiele langsam als vollwertiges Kulturgut wahrnehmen, sie analysieren und hinterfragen, ihren Kontext und Wirkung begreifen. Und auch mir haben die Dekaden die Begeisterung nicht madig machen können, nicht mal gegenüber meinen skeptischen Eltern.
Skepsis, vielleicht auch ein wenig Angst, vor dem Neuem und Unbekannten, soll uns Menschen vor Gefahren schützen. Die Erkenntnis, dass sich dahinter nicht zwangsläufig Gefahren verbergen, sondern weitläufige, immersive Welten und aufregende Abenteuer, ist nicht unbedingt trivial. Ein solch begleiteter Einstieg in die Welt der Videospiele scheint daher der richtige Weg zu sein ‒ auf jeden Fall ist es ein spannendes Experiment.
Bei Game Jams trifft Crunch-Kultur auf Karrierechancen
Florian Zandt, superlevel.de, 04. Februar 2021
‚Auch wenn Game Jams außerhalb der Szene eine Nischenerscheinung sind, bringen sie immer wieder Hits hervor. Spiele wie Superhot, Surgeon Simulator oder Don’t Starve verkaufen sich millionenfach. Das Licht der Welt haben sie als in wenigen Stunden oder Tagen entwickelte Prototypen erblickt. Die Ergebnisse von Game Jams lassen sich also sehr gut zu Geld machen.
In kurzer Zeit die eigene Kreativität bündeln und in ein Spiel verpacken, ist eine Herausforderung und kann ein tolles Erlebnis sein. Gleichzeitig stehen die Teilnehmenden unter starkem Druck, diese Kreativität zur richtigen Zeit abzurufen und stundenlang nahezu pausenlos durchzuarbeiten, zumal einstiges Gemeinschaftsgefühl in einen harten Konkurrenzkampf übergehen kann. Vielleicht ist ein Game Jam auch ein Fenster in die Realität der Games-Industrie.