Das Schönste an den Wahlen ist der Wahlkampf. Plakate aufhängen, durch Städte touren, Reden halten und Interesse heucheln. Jetzt können wir dem politischen Gegner auch eine reinhauen.
Einmal den Wahlkampf richtig ernst nehmen und sich so richtig auf die Mütze geben. Das hat sich auch Schlecky Silberstein vom Bohemian Browser Ballett auch gedacht und dabei ist dieses Spiel herausgekommen. Pünktlich zur Bundestagswahl. Es gibt Download-Versionen für PC und Mac, sowie eine spielbare Version direkt im Browser. Die Kosten liegen bei 17,50 Euro monatlich, müssen allerdings viertel-, halb- oder jährlich entrichtet werden.
Bundesfighter II Turbo, das nicht einmal vage an die Street-Fighter-Reihe erinnert, wartet mit zwei verschiedenen Spielmodi auf. Im Storymodus wird mit einem beliebigen Charakter eine komplette Wahlkampfsaison gespielt, während im Versus-Modus im lokalen Multiplayer der Kampf um die Kanzlerschaft ausgetragen werden kann.
Spielbar sind alle Spitzenkandidaten der Parteien, die wahrscheinlich in den Bundestag einziehen werden. Außer Alice Weidel. Die ist bereits nach Hause gegangen. Alexander Gauland muss also allein für seine Partei antreten. Da kann ihm nicht einmal die Wehrmacht helfen.
Jeder Charakter besitzt neben den klassischen Angriffen Treten und Schlagen auch zwei besonders wirkungsvolle Spezialangriffe. So kann Angela Merkel den Gegner mit einer Flüchtlingswelle überrumpeln, während Christian Lindner ganz lässig den Selfie-Stick auspackt und sich Gauland in einen bissigen Kurzhaardackel verwandelt. Darüber hinaus gibt es für jeden Kandidaten eine Kampfarena. Der heilige Martin kämpft vor seinen Nachbarn in Würselen und der senile Senior mit der Dackelkrawatte lässt sich vom Pöbel in Dresden feiern.
Doch was ist eigentlich mit dem Duo von den Grünen? Die stellen den Charakter für die richtigen Profispieler. Sie lehnen Gewalt ab und schlagen sich deshalb selbst, sobald man versucht, den Gegner anzugreifen. Beide Spezialfähigkeiten bestehen darin, den Energiebalken zu leeren, ohne dass etwas passiert. Parteiintern nennt man das auch Energiewende.
In einem Fenster von 800×600 Bildpunkten erstrahlt die feine Retrografik des in Unity entwickelten Wahlkampfsimulators. Das sind immerhin mehr Pixel als die Standardauflösung des marktführenden Privatfernsehsenders. Leider ist das Erlebnis auf den Fenstermodus beschränkt. Nichtsdestoweniger kann sich der Spieler an den detaillierten Charakteren erfreuen. Der Heiligenschein des Gottkanzlers ist korrekt abgebildet und die Fotogenität des Vorsitzendes der Lindneralen ist vor dem Bildschirm trotz des Retrostils deutlich spürbar. Gleiches gilt auch für die Kampfumgebungen. Insbesondere die Pegida-Vollversammlung in Dresden und Schulz‘ Heiligsprechung im Bürgeramt von Würselen können atmosphärisch überzeugen. Keine Frage, hier findet echter Wahlkampf statt.
Die Hintergrundmusik klingt generisch, ähnelt anderen Prügelspielen und ist somit wenig spannend. Damit fügt sie sich allerdings äußerst wirklichkeitsgetreu in den realen Bundestagswahlkampf ein. Dies lässt sich auch problemlos auf die Geschichte des Story-Modus übertragen. Hier wird auf Inhalte verzichtet. Stattdessen liegt der Fokus auf dem Wahlkampf und das Ringen um jede Wählerstimme. Aufgrund der kurzen Aufmerksamkeitsspanne der computerspielaffinen Jungwähler beschränken sich besagte Inhalte auf kurze Begriffe, zum Beispiel „Volksverräter!“ oder „Stirb, Faschist!“.
Problematisch an dem Spiel ist trotz allen Lobes die Steuerung im Mehrspieler. Während die Steuerung der Politiker nur wenige Schwierigkeiten bereitet, ist das bei den Aktionstasten anders. Diese liegen aufgrund der Bauweise der Tastaturen recht nah bei einander, sodass im Eifer des Gefechts ungewollter Handkontakt entstehen kann. Abhängig von den politischen Diskrepanzen kann das erfahrungsgemäß in ein Handgemenge münden, das später in Form von Hasskommentaren auf Facebook fortgesetzt wird. Eine Steuerung für Gamepad könnte dem entgegenwirken. Außerdem fehlt eine Steuerung für saarländische Wähler. Die aktuelle Variante ist für Paarhufer völlig ungeeignet.
Eigentlich sind Prügelspiele eine japanische Erscheinung, die in Deutschland nie wirklich Fuß fassen konnte und nur von einer begrenzten Zielgruppe gespielt wird. Mithilfe der griechischen Erfindung Demokratie kann diesem Genre Leben eingehaucht werden. Leben, das auch der Wahlkampf dringend nötig hat. Zwar verzichtet auch das Spiel auf Inhalte, aber wenigstens duellieren sich Angela Merkel und Martin Schulz jetzt solange bis einer gewinnt. Und weil jeder Kampf aus mindestens zwei Runden besteht, muss der Martin nicht einmal einen Brief an die Kanzlerin schreiben und um eine Wiederholung bitten. Aber Vorsicht: Schlüpft der Charakter in die Rolle der regierenden Physikerin, muss er gegen sämtliche Spitzenkandidaten antreten, denen Frau Merkel sonst gekonnt ausweicht. Im Gegenzug wird auf das YouTube-Interview verzichtet.
Trotz der marginalen Probleme mit der Steuerung bekommt der Spieler hier endlich echten Wahlkampf geboten. Genauso wie er es verdient hat. Originalgetreue Nachbildungen deutscher Politker vermitteln echte Inhalte an vertrauten Schauplätzen. Und an der Schlagfertigkeit gibt es keine Zweifel. Bleibt nur noch zu hoffen, dass es nach der Bundestagswahl eine Fortsetzung gibt. Kanzler gegen Macron, Kim, Trump, Erdoğan und weitere sympathische Regierungschefs.
Titel: | Bundesfighter II Turbo |
Erscheinungsdatum: | 21.09.2017 |
Entwickler: | Colour Colliders |
Publisher: | Südwestdeutscher Rundfunk |
System: | Mac (OS X), PC (Win) |
Herunterladen: | Direkt |
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