Gütersloh meets Stuttgart – vor 20 Jahren eröffnete Synetic den PC-Rennspielern eine Welt, die von zahlreichen Mercedes-Benz-Modellen befahren werden konnte. Wie macht sich die edle Reise heute?

Schon im Jahr 2000 erblickte ein Videospiel von Synetic den Markt, in dem LKW der Marke Mercedes-Benz bewegt werden dürfen, wenn auch eher die rennstreckentauglichen Varianten auf abgesperrten Kursen. Drei Jahre später – und das zuerst auf der Xbox – sind nun die gängigeren PKW an der Reihe, die zu der Zeit auch im öffentlichen Straßenverkehr nicht selten zu sehen waren.
„[M]ehr als 100 Originalwagen“ mit A- bis S-Klasse, Oldtimern und Prototypen dürfen vom Spieler auf „117 verschiedene[n] Strecken in sieben riesigen […] Umgebungen“ bewegt werden. Von Australien über die Alpen bis nach Mexiko. PC-Nutzer profitieren zudem vom Hockenheimring. Nicht nur die Standard-Rundkurse werden geboten, sondern auch noch „48 abwechslungsreiche […] Missionen“. Zwar schreit das verwöhnte Publikum gerne nach Markendiversität, dennoch können einerseits „neue Autos aus dem Internet“ geladen werden; andererseits muss sich das Spiel wiederum durch andere Qualitäten beweisen.
Vom Tellerwäscher zum Driver No. 1


Erklärtes Ziel des Spiels ist es, „Driver No. 1“ zu werden. Das wird durch die Kampagne erreicht, in die man nach der Erstellung seines Charakters samt Kennzeichenbeschriftung direkt hineingeworfen wird. Die für Synetic-Verhältnisse typischen verschachtelten und leicht unübersichtlichen Menüs verbergen neben der Auswahl an Strecken und Fahrzeugen die Möglichkeit, die kommenden Kurse im Training oder im Einzelrennen näher kennenzulernen.
Ein Rennkalender gibt die typische Reihenfolge vor, die es zu absolvieren gilt. Acht Rennen rund um den Globus, die mit jeder weiteren geschafften Meisterschaft komplexer und länger werden. Dazwischen – oder nach Wunsch des Spielers mittendrin – werden Missionen absolviert, die ein wenig Abwechslung bieten sollen als nur mit fünf Mitstreitern auf vorgegebenen Abläufen möglichst einen der vorderen Plätze zu ergattern. Denn eine verlorene Partie macht aus der Laufbahn dank Prozentsystem nicht gleich das große Drama.
In die Rennen fließen verschiedene Kriterien ein. Wenn etwa die Platzierung nicht das Wahre ist, könnte man seinen Fortschritt entweder mit zahlreichen Drifteinlagen oder mit genügend Disziplin gestalten. Sprich keine unfairen Rammer oder starken Unfälle auf dem Weg verursachen. Der Testlauf hat gezeigt, dass man es selbst mit ein paar gescheiterten Missionen und nicht ganz perfekten Rennabläufen zum Meistertitel schaffen kann. Selbst dann schaltet man Szenarien und Fahrzeugmodelle frei.
Von A bis S


Logisch, dass zu Beginn nicht der komplette Fuhrpark der Sternenmarke aus Stuttgart zur Verfügung steht. Dennoch wird man merken, wie sich Synetic die hohen Zahlen schönreden möchte. Von der vom Elchtest geplagten A-Klasse bis hin zum McLaren SLR sind zwar zahlreiche Modelle vertreten, jedoch darf man sich im Laufe der Karriere die verschiedenen Abstufungen der Modelle freispielen. Bis man sich etwa den äußerst flotten E 55 AMG aussuchen kann, dauert es eine Weile und man muss sich anfangs mit dem wesentlich langsameren E 200 CDI zufriedengeben.
Auf Tuning oder anderweitige Modifizierungen wurde verzichtet, einzig die Farbe kann verändert oder beim Cabrio das Verdeck montiert werden, sonst bewegt man die verschiedenen Mercedes-Benz-Modelle so wie sie sind. So entsteht zwischen den KI-Gegnern und dem Spieler kein unfairer Wettbewerb durch eventuelles Doping, doch wer auf Individualität schwört, ist hier definitiv beim falschen Videospiel gelandet.
Synetic hat jedem Fahrzeug eine schicke Innenraumperspektive kredenzt. Das Lenkrad wird von den Händen der jeweiligen Figur, die man vorher ausgewählt hat, gehalten und im Idealfall auch gelenkt. Das Schadensmodell verringert bei gröberen Beschädigungen zwar die Laufleistungen des Fahrzeugs, optisch beschränkt es sich jedoch nur auf Beulen. Was man für einen Defekt halten könnte, ist ein ernstgemeintes Feature: Das Bremslicht erstreckt sich über das komplette Rücklicht. Kein Blinker, kein Rückfahrlicht, alles nur Bremslicht.
Man muss zugutehalten, dass die Modelle unterschiedlich fahren und auch unterschiedlich klingen. Ein A 160 CDI fährt und dröhnt anders als ein A 190 TWIN. Ein schwerer E 220 T CDI braucht mehr Platz zum Lenken als ein wendiger CLK 55 AMG ’02. Neben der damals aktuellen Palette an Mercedes-Benz-Modellen dürfen sich ein paar Oldtimer wie dem 300 SL und ein paar Prototypen wie dem W 125 dazugesellen. Für meinen Geschmack hätten es ruhig noch ein paar mehr sein dürfen.
Vom übertriebenen Perfektionismus


Die Rennen beginnen immer mit einem kurzen Countdown und die eigene Startposition variiert je nach bisheriger Meisterschaftsleistung und Missionsvorgabe. Eine Streckenkarte oben rechts und ein Pfeil unten in der Mitte geben die Richtung vor, in die es geht. Synetic-typisch färbt sich der Pfeil entsprechend der Geschwindigkeit. Bei Rot hilft nur kräftiges Bremsen, bei Grün kann es munter weitergehen.
Während der Spieler nur im Training eine Ideallinie sehen kann, gibt es diese nirgendwo anders. Doch man braucht sie nicht zwingend, denn die Orientierung an die Kontrahenten genügt vollkommen, um zu merken, dass sie dieser peinlich genau folgen. Und das so übertrieben, dass einige ihrer Überholvorgänge in Kollisionen mit Leitplanken oder Dekogegenständen enden kann. Sehr zulasten des Spielers, der gerne mal von den Gegnern weggeschoben werden kann.
Ruhe vor den perfektionistischen Gegnern findet man u.a. in den Waypoint-Rennen, in denen mit einem Geländewagen verschiedene Checkpoints auf der Karte erreicht werden müssen. Diese sind überaus knifflig ausgefallen, hat man als Orientierung lediglich einen grünen Pfeil, der die Richtung des nächsten Kontrollpunktes anzeigt. Nichtsdestotrotz sind die Waypoint-Missionen beherrschbar, selbst wenn der eigene Orientierungssinn so matsche ist wie das Verkehrssystem der Autobahnen in NRW.
World Racing erlaubt zudem einige Fahroptionen. Der Fahrstil kann variabel zwischen Simulation und Arcade eingestellt werden, voreingestellt ist eine Mischung aus beidem. Bei Arcade merkt man eine kräftige Lenkung und Beschleunigung, bei Simulation ist mehr Lenkarbeit notwendig. Ein Bremsassistent hilft beim Navigieren durch die Kurven, auch wenn dieser einen manchmal an der Beschleunigung hindert. Die Gegnerstärke kann auf einen festen oder variablen Wert festgelegt werden; bei letzterem orientiert sich diese an den Fahrleistungen des Spielers. Zusätzlich kann noch ASR und ABS aktiviert werden.
Von wenigen Technikpannen


Während des Testlaufs lief das Spiel ohne Abstürze oder größere Technikpannen. Mit der Auflösung 1024×768 Pixel und bei zweifachem Antialiasing machte World Racing auf dem Testsystem, dessen Grafikkarte als empfohlene Karte aufgelistet wird, eine gute Figur. Lediglich Abschnitte mit vielen Gegenständen – insbesondere in der Stadt – verursachten niedrige Frameraten, doch diese blieben überwiegend im spielbaren Bereich.
Grafisch gehört World Racing zu einem der schönsten Rennspiele aus der Zeit. Selbst nach 20 Jahren können die Texturen, die Fahrzeugmodelle und die Weitsicht optisch nach wie vor überzeugen. Die Motorensounds sind okay, aber keine Glanzleistung. Die Musikbegleitung ist dagegen gut gewählt worden. Atmosphärisch bieten die gigantischen Karten nicht sonderlich viel Spielraum.
Ein Bug geschah beim Rundkurs „The City 3“. Mitten auf der Strecke waren die Texturen so kaputt, dass alle Fahrzeuge in einem Bereich durch den Boden fielen. Dieser Bereich hatte kreuz und quer gezogene Texturen. Ein paar Missionen aus dem Menü ausgewählt, schon war das Problem wie von Geisterhand behoben. Entweder wurde der Bug vom Spiel (in der Version 1.1.2.DEF) ausgelöst oder es war ein Problem der Grafikkarte.
Ein Stern, der nicht komplett glänzt
World Racing protzt mit einer großen Menge an Fahrzeugen, die sich jedoch als verschiedene Motorenvarianten der jeweiligen Mercedes-Benz-Klassen von A bis S herausstellen. Durch die fehlenden Tuning- und Individualisierungsoptionen besteht so lediglich die faire Chance, durch fahrerisches Können sein Talent auf den zahlreichen Strecken zu beweisen. Die Abwechslung wird nach vielen Spielstunden merklich geringer und im Laufe der Zeit will man einfach nur Rennen abschließen.
Die Variationen gibt’s auf der einen, aber nicht auf der anderen Seite. Die großen Karten hätte man noch super mit Verkehr ausstatten können, um diesen ein wenig mehr Leben einzuhauchen (was im Nachfolger gemacht wurde). Dennoch bereiten die gute Fahrphysik und die hübsche Grafik für die ersten Spielstunden eine große Freude. Man hat danach bloß schon alles gesehen, was es zu sehen gibt. Die teils hanebüchene KI möchte man dagegen nicht mehr sehen.

Mit der A-Klasse durch die Alpen, mit der E-Klasse durch Nevada oder mit dem 300 SL durch Australien – in World Racing macht es große Freude, mit den zahlreichen Mercedes-Benz-Modellen Rennen zu absolvieren. Die Fahrphysik erlaubt einen Spagat zwischen Arcade und Simulation, der das Fahren gegen die viel zu perfektionistische und teils dämliche KI-Konkurrenz angenehm gestaltet. Optisch ist Synetic dank hoher Weitsicht und hübsch aussehenden Fahrzeugmodellen inkl. Innenraum ein angenehmer Leckerbissen gelungen. Ein wenig mehr Abwechslung insbesondere bei den Welten hätte diesem Titel in sämtlichen Facetten gutgetan. So bleibt die Sternstunde der PC-Rennspielgeschichte nur knapp verwehrt und hinterlässt ein paar unschöne Kratzer.
Testsystem
Betriebssystem: | Microsoft Windows XP Professional |
Prozessor: | AMD Athlon XP 3000+ |
Grafikkarte: | MSI GeForce4 Ti4200-8x |
Sound: | Creative SoundBlaster Audigy 2 Platinum SB0240 |
Festplatte: | Samsung SP1614N 160 GB |
Arbeitsspeicher: | 1 GB DDR-133 |
Daten zum Spiel
Titel: | World Racing |
Erscheinungsdatum: | 18. September 2003 |
Entwickler: | Synetic |
Publisher: | TDK Mediactive |
System: | Xbox, Windows, PlayStation 2, GameCube |