Die Konsole vom Klassenlehrer und ein Sommer auf der Rennstrecke

Unser Chefredakteur erzählt, wie er vor den Sommerferien zu einer PlayStation 2 kam und den gesamten Sommer auf der virtuellen Rennstrecke verbrachte – ein ganz persönlicher Rückblick.


Das Ende eines Schuljahres wurde traditionell gefeiert. Jährlich wechselten sich Sport- und Schulfest ab. In jedem Jahr war es das Schulfest, das den Abschluss machen sollte. Während beim Sportfest klar die Bewegung im Freien im Vordergrund stand, bot das Schulfest vielfältigere Möglichkeiten. Jede Klasse organisiert einen Stand für die übrige Schulgemeinschaft.

Neben einigen Klassikern wie dem Verkauf von Kuchen oder Kaltgetränken, stellten einige Klassen auch ihre Kunst- oder Naturwissenschaftsprojekte aus, andere veranstalteten Wettbewerbe und Aktivitäten. Zu letzterer Gruppe zählte in diesem Jahr auch meine Klasse. Weil der Klassenlehrer als erster und bis dahin einziger Lehrer eine interaktive Tafel bekommen hatte, wollten wir diese technische Möglichkeit nutzen. Also schlug er vor, einen Singstar-Wettbewerb auszutragen.

Regen am Nürburgring in Richtung Kurve 1
Typisches Eifelwetter auf dem Nürburgring

Karaoke auf dem Schulfest

Er selbst brachte die nötige Konsole, eine PlayStation 2, mit. Die Mikrofone und Spiele wurden von der Klasse gemeinsam organisiert, sodass wir eine Vielzahl unterschiedlicher Musikrichtungen anbieten konnten. Schnell war die Konsole mit der Tafel verbunden und das Fenster mit den defekten Jalousien wurde mit einer Decke und doppelseitigem Klebeband abgedeckt. Noch bevor das Schulfest begann, versprach der Klassenleiter, die Konsole innerhalb der Klasse zu verlosen. Angeblich, weil er sie nicht mehr mit nach Hause nehmen wolle.

Der Singstar-Wettbewerb fand wie erwartet regen Anklang. Auch einige Lehrkräfte, die keinen Musikunterricht gaben, ließen sich zu einer Karaoke-Einlage hinreißen. Welchen Gewinn der erste Platz des Turniers erhielt, ist mir nicht mehr bekannt. Vermutlich war es eine Tüte mit Gummibärchen oder Chips – natürlich neben dem Ruhm und der Ehre, die mit diesem Titel einhergingen.

Eigentlich ist das Schulfest gar nicht der krönende Abschluss eines Schuljahres. Das Aufräumen danach kann das noch übertreffen. Glücklicherweise waren die Tische rasch an ihren Platz gestellt und die Spiele wieder an ihre Eigentümer verteilt, die sich rasch in die Sommerferien verabschiedeten. An die Verlosung der Konsole dachte bei dem Gedanken an sechs freie Wochen niemand mehr. Auch ich hatte es längst vergessen, war aber noch zufällig als Letzter im Raum.

Reifenschaden in Kanada vor Kurve 4
Der Reifen sieht nicht mehr gut aus, die Fleischklops-Flagge ist wohl für uns

Durch Zufall Konsolenbesitzer

Mein Klassenlehrer packte die PlayStation 2 in seine Tasche, sah sich um und überreichte sie mir. Eine Verlosung gab es nicht mehr. Oder doch, und ich habe als einziger Teilnehmer automatisch gewonnen. Meine sechs freien Wochen begannen also mit einer nicht mehr ganz so neuen Konsole.

Von einem Mitschüler lieh ich mir eine Handvoll Spiele aus, die ich alle durchprobierte. Letztlich blieb ich aber an Formel Eins 06 hängen. Obwohl ich bis dahin nur einzelne Rennen bei RTL gesehen hatte, war ich sehr davon angetan, die Boliden um die Strecke zu steuern. Im Einzelrennen probierte ich sämtliche Wagen durch und entschied mich dort für den Renault R26 von Giancarlo Fisichella.

Also war es das Ziel für den Karrieremodus, für das französische Team mit dem blau-gelben Auto zu fahren. Die Testfahrten für Red Bull, Toro Rosso und Super Aguri gestalteten sich schwierig und erst nach mehreren Anläufen landete ich als Testfahrer im Kader des italienischen Junior-Teams. Die ersten zwei Wochen meiner Sommerferien waren verstrichen, als ich endlich zum ersten Fahrer bei Toro Rosso befördert wurde und neben Scott Speed meinen ersten, virtuellen Grand Prix fahren durfte.

Vitantonio Liuzzi beim Boxenstopp in Kanada
Boxenstopps mit Nachtanken dauern länger als heutzutage

Im B-Team des Dosenautos

Obwohl ich im Qualifying stets das Nachsehen hatte, konnte ich augenscheinlich mit guten Rennergebnissen in der dritten Woche meiner Sommerferien von mir überzeugen und erhielt Angebote von McLaren, Williams und Honda. Ich nahm keines dieser Angebote an. Williams wäre kein wirklicher Schritt nach vorn gewesen, bei McLaren wäre ich nur Testfahrer gewesen. Außerdem hatte ich noch das große Ziel vor Augen: Renault.

Eine weitere Woche meiner Sommerferien fuhr ich für das Nachwuchs-Team von Red Bull. Inzwischen war meine zweite Saison für den Rennstall aus Faenza schon fast verstrichen. Zweifel nagten an mir, ob es eine gute Entscheidung war, immer wieder Angebote der übrigen Mittelfeld-Teams auszuschlagen. Vielleicht muss man ja kontinuierlich aufsteigen. Doch dann überraschten mich die rote Scuderia mit einem Angebot: Als zweite Fahrer könne ich neben Michael Schumacher um den Titel mitfahren.

Erneut überkamen mich Zweifel. Ferrari war nie mein Ziel, aber wer träumt denn bitte nicht davon, für dieses Team fahren zu dürfen? Und dann auch noch an der Seite einer Motorsport-Ikone. Also nahm ich das Angebot an und startete beim übernächsten Rennen in einem roten Boliden. Zwar erzielte ich solide Ergebnisse, blieb aber hinter meinen eigenen Erwartungen zurück. Die Realität hatte mich eingeholt: Es gab einen Grund, weshalb ich nicht zu Ferrari wollte. Das Fahrverhalten des Ferrari 248 F1 sagte mir einfach nicht zu. Damals schob ich es auf die Bridgestone-Reifen. Ob es wirklich der Grund sein konnte, weiß ich bis heute nicht.

Giancarlo Fisichella auf Platz 7 nach dem Start in Indianapolis
Im Renault ist von Platz 7 aus noch alles drin

Sommerferien in Maranello

Die Wochen vier und fünf meiner Sommerferien steckte ich also bei einem italienischen Rennstall fest, das mich zu meiner Überraschung nicht vor die Tür setzte. Allerdings gab es auch keine brauchbaren Angebote von Top-Teams. Zwar fragten Super Aguri, Red Bull oder Midland immer wieder, ob ich nicht als erster Fahrer einsteigen mag, aber die Blöße wollte ich mir nicht geben.

Es folgte der Große Preis von Frankreich in Magny-Cours. Im Qualifying platzierte ich meinen Boliden nur im Mittelfeld. Zum Rennstart setzte Regen ein und nach wenigen Runden kämpfte ich vorn um Podiumsplatzierungen mit. Schon lange hatte ich nicht mehr auf dem Treppchen gestanden und den virtuellen Champagner genießen können. Zwischenzeitlich hatte ich meinen Teamkollegen überholt und nur noch Fernando Alonso stand zwischen mir und meinem ersten Rennsieg. Beim ersten Überholversuch geriet ich auf eine Ölspur und hatte Mühe, das Auto auf der Strecke zu halten.

Also startete ich in der nächsten Runde einen erneuten Versuch und konnte den Spanier dieses Mal auf besagtes Öl drängen, der daraufhin die Kontrolle verlor und ins Gras rutschte. Überglücklich feierte ich meinen ersten Formel-1-Sieg und wurde nach dem Rennen von einem Angebot überrascht: Renault lud mich ein, an Alonsos Seite zu fahren.

In der letzten Woche der Sommerferien wurde mein Traum Wirklichkeit: Ich fuhr für Renault und konnte um Siege kämpfen. Nur auf die Weltmeisterschaft musste ich dann bis zu den Herbstferien warten.

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