Hi-Fi Rush • Rock’n’Klopp

Ein Möchtegern-Rockstar gönnt sich im Campus eines großen Technikkonzerns ein Armimplantat und wird wegen einer Panne zum Defekt deklariert. Eine abenteuerliche Flucht beginnt. Wie ist der Überraschungshit des noch jungen Jahres?


Wie überrascht dürfte man von einem Spiele-Portfolio sein, wenn ein Entwickler wie Tango Gameworks erst mit The Evil Within und Ghostwire: Tokyo Videospiele mit Horror-Elementen produziert hat, nur um dann im Januar 2023 mit Hi-Fi Rush ein buntes Spiel im Comic-Stil unvorhergesehen zu veröffentlichen, welches man dem Entwickler gar nicht zugemutet hätte?

Zumindest auf dem Papier klingt es dennoch nach einer schrägen Story: Der junge Chai kommt zum Vandelay-Technologies-Campus, um an dem Testprogramm für Roboter-Implantate namens „Project Armstrong“ teilzunehmen. Doch er bekommt nicht nur einen neuen Arm, sein portabler Musikspieler wird ihm aus Versehen in die Brust implantiert. Jetzt gilt er als „defekt“ und muss entkommen, was nicht so einfach wird. Mit einem Team, welches er im Laufe der Story kennenlernt, offenbart er nach und nach dunkle Geheimnisse hinter den Kulissen des großen Tech-Konzerns.

Vandelay sucht den (Möchtegern-)Rockstar

Da wurde die Operation des Protagonisten vermeintlich erfolgreich abgeschlossen, wird er dazu aufgerufen, sich wegen eines Fehlers am Checkpoint zu melden. Nur um später zu erfahren, dass die Roboter der Firma die Meldung bekommen, ihn – den Defekt – zu beseitigen. Weil das stark nach Falle riecht, muss sich Chai mit einer Horde an metallischen Gegnern prügeln. Was schon einen Teil des gesamten Spiels ausmacht.

Mit verschiedenen Techniken muss der Spieler mit einer E-Gitarre aus Muttern, Schrauben und Zahnrädern auf die Roboter einschlagen. Der Clou: da sich durch den implantierten Musikspieler die ganze Welt im Takt der im Hintergrund laufenden Musik bewegt, muss man ebenso taktvoll auf die Tasten hauen. Für Menschen mit entsprechendem Taktgefühl kein Problem, da kommt der schmissige Rock-Soundtrack gut zur Geltung.

Ohnehin dreht sich im Spiel mit der Abkürzung „High Fidelity“ vieles um Musik, schließlich möchte der Protagonist gerne Rockstar werden. Fingerschnippen, „Hey!“-Rufe bei Sprüngen und Schlägen und bei jedem Schlag ein Streichen durch die E-Gitarre; Musikfans würden allein wegen diesem Thema voll auf ihre Kosten kommen.

Stagediving mit Risiken

Da Vandelay Technologies gefühlt einer Großstadt ähnelt, ist der Jump&Run-Part entsprechend groß, der sich jedoch vernünftig spielt. Zum Aufrüsten der eigenen Angriffe werden Zahnräder benötigt, die während des Spiels in verschiedenen Größenlagen auftauchen, teilweise versteckt in Kisten und Fässern, wo sich zudem noch Lebenspunkte verstecken. Ein freundlicher Helfer namens Smidge gibt hilfreiche Tipps auf dem Weg, die für Chai allerdings eher langweilig klingen.

Im Laufe der Story trifft Chai auf Verbündete. Mit 808 gesellt sich eine Roboterkatze dazu, die sich zu einem kleinen schwebenden Taktgeber umwandelt – und zum Sprachrohr für Leute wie Peppermint, die die Ungereimtheiten der Firma aufdecken möchte. Man kann sie herbeirufen, um Barrikaden wie vereiste Magnetfelder beiseitezuschaffen oder in Kämpfen Hilfe bei Roboterschlachten zu erhalten. Weitere Verbündete können Türen aufbrechen oder Feuerattacken verhindern.

Bei den Kämpfen kommen hin und wieder Herausforderungen, die viel Konzentration erfordern. Seien es elektrisierte Felder, auf denen man sich nicht befinden sollte, oder die Notwendigkeit zum Ausweichen von Attacken. Vor Bosskämpfen ist man ebenfalls nicht gefeit, die genretypisch lange dauern und begleitet werden von überdimensionierten Lebensbalken. Diese sind äußerst knackig ausgefallen und fordern einiges vom Spieler ab. Ähnlich verhält es sich mit den Quicktime-Events, bei denen das Timing ziemlich genau stimmen muss.

Deutlich weniger herausfordernd ist das Voranschreiten durch die abwechslungsreichen Umgebungen des Konzerns. Manchmal müssen zeitlich begrenzt auftauchende Plattformen passiert werden, um voranzukommen. Nur selten kommt es vor, dass es schwierig wird, diese zu meistern. Für die Nostalgiker gibt es zudem Sidescroller-Parts im Stile älterer Jump&Run-Titel, eine nette Beigabe.

Marmor, Stein und Eisen bricht…

Die Stationen von Vandelay Technologies sind absurd groß und stecken voller tiefgründigem Humor, die auf typische Großkonzern-Macken anspielen: übertriebene Arbeitszeiten, unmenschliche Arbeitsbedingungen, hemmungsloser Perfektionismus oder absurde Sparmaßnahmen. Überhaupt kommt der Humor nicht zu kurz, selbst die Figuren nehmen sich nicht ernst. Hi-Fi Rush bietet sehr viele Momente, bei denen man schmunzeln muss.

An den Umgebungen kann man sich sattsehen, nicht zuletzt dank der schicken Comic-Optik. Außengelände mit Blick zu gigantischen Gebäudekomplexen, vorbei an der Lavaschlucht zur R&D-Abteilung, bis es letzten Endes zur gigantischen Chefetage des Antagonisten Kale Vandelay geht. Wie es das Spiel so will, geht es meist durch unkonventionelle Wege zu den jeweiligen Zielen, sei es durch Lüftungsschächte oder auf zerstörten überdimensionierten Statuen.

Die auf dem Weg auffindbaren Roboter-Mitarbeiter geben witzige Dialoge von sich, manchmal offenbaren sie allerdings nette kleine Nebenaufträge, die sich auf dem Weg erledigen lassen. Die Erkundungstouren geben genug Raum und Zeit, sich nach Zahnrädern, Kisten oder Aufrüstungsgegenständen umzuschauen, die an eines von Peppermint gehackten Terminals oder im Saveroom installiert werden können. Und falls eine Attacke nicht mehr benötigt wird, kann man diese verkaufen und kriegt Zahnräder für neue Upgrades zurück.

Das wird fetzig

Hi-Fi Rush mag zwar nicht die modernste Next-Gen-Optik besitzen, setzt aber mit dem Comicstil – der den japanischen Animes etwas ähnelt – Akzente, die zu gefallen wissen. Trotz des Umfangs an sichtbaren Objekten ist das Spiel gerade mal ca. 15 Gigabyte groß und verlangt keine High-End-Kiste. Es dürfte daher wenig verwundern, dass es auf dem Testsystem hervorragend und ohne jegliche Frameverluste lief.

Die Steuerung mit Controller ist super gelöst und ideal für Spiele dieses Genres. Sonst erlaubt das umfangreiche Optionsmenü weitreichende Einstellungsmöglichkeiten, etwa einen Auto-Modus, um zufällige Angriffe automatisch auf Knopfdruck auszuführen, sollte man bei Kämpfen Schwierigkeiten bekommen. Das sollte bei einem normalen Schwierigkeitsgrad allerdings selten vorkommen. Das Spiel hat im Übrigen vier davon.

Auf dem Testsystem lief das Spiel überwiegend problemlos. Einen kleinen Bug hat es in einem der letzten Abschnitte gegeben, in dem es eigentlich auf einem Seil weitergehen sollte, die entsprechende Szene allerdings nicht geladen wurde. Ein direkter Neustart bei bestimmten Abschnitten erlaubt das Spiel nicht. Sonst gab es weder Abstürze noch sonstige Macken während der ungefähr zwölf Stunden, die gespielt wurden.

I wanna be a rockstar!

Der Überraschungseffekt tritt ein. Oder Chai hat einen Boss erledigt.

Chai und sein Team, die gegen die geplanten Machenschaften von Vandelay Technologies ankämpfen möchten, obwohl es in erster Linie nur um eine simple Flucht wegen eines Implantatfehlers ging, muss man einfach liebhaben. (Selbst wenn der Protagonist ziemlich eingebildet ist.) Die gewaltige Masse an Kampfrobotern gemeinsam im Team zu beseitigen, während man sich von Abteilung zu Abteilung bewegt, hilft ungemein.

Selbst wenn es sicherlich zum Genre gehört, wenn Kämpfe sich durchaus in die Länge ziehen können, weil besonders große und schwere Gegner das Bedürfnis haben, alles an Können aus dem Spieler herauszukratzen. Das nagt an den Nerven, verzeiht das Spiel allerdings im Falle einer Niederlage mit meistens fair gesetzten Checkpoints. Nichtsdestotrotz glänzt der gesamte Rest, besonders die äußerst gelungene deutsche Synchronisation.

Der tollpatschige, hochnäsige, aber irgendwie sympathische Chai will es mit seiner Truppe schaffen, den bösen großen Tech-Konzern Vandelay den Garaus zu machen. Und das durch eine bunte Comic-Welt voller Humor, rockiger Musik, abgedrehten Umgebungen und Roboterschlachten, bei denen die Schrauben nur so um die Ohren fliegen. Selbst wenn diese im Laufe des Spiels nach und nach immer knackiger ausfallen und irgendwann wie eine Ewigkeit vorkommen, so stimmt der Rest des Überraschungswerkes des frisch begonnenen Jahres 2023. Das rockt!


Testsystem

Betriebssystem:Microsoft Windows 11 Version 22H2
Prozessor:AMD Ryzen 7 3700X
Grafikkarte:NVIDIA GeForce RTX 3070 Founders Edition
Sound:Realtek ALC892
SSD:Crucial MX500 1TB
Arbeitsspeicher:32GB DDR4-3200

Daten zum Spiel

Titel:Hi-Fi Rush (oder „Hi-Fi RUSH“)
Erscheinungsdatum:25. Januar 2023
Entwickler:Tango Gameworks
Publisher:Bethesda Softworks
System:Windows, Xbox Series X|S
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