Der Verkehrsgigant • Die Bahn kommt… hoffentlich

JoWoods Nachfolger von Industriegigant steigt um zum Job des Stadtplaners – Verkehr reduzieren durch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Klingt nach gigantischen Aufgaben.


Die Vorderseite der Packung der deutschen Version

Während mit dem Titel Der Industriegigant im Jahr 1997 eine Art geistiger Nachfolger von Transport Tycoon veröffentlicht wurde, erschien im März 2000 ein neuer „Gigant“ von JoWood unter dem Namen Der Verkehrsgigant. Die Aufgabe: Bus- und Bahnverbindungen innerhalb einer Stadt ermöglichen, um die Masse der Bevölkerung vom Auto loszureißen und den Verkehr auf den Straßen zu reduzieren.

Das Spiel bietet zwei Modi an: eine Kampagne mit 15 Missionen oder ein Endlosspiel auf 30 Karten mit bis zu drei Konkurrenten. Überall können – je nach Verfügbarkeit – verschiedene ÖPNV-Bewegungsmittel gekauft werden, um diese für den Personentransport quer durch die Stadt einzusetzen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, über das Netzwerk ein Multiplayer-Spiel zu starten.

Heute plan’ ich, morgen bau’ ich

Bushaltestellen an zwei Schulen

Grundsätzlich startet das Spiel in bereits fertigen Städten, seien es Kleinstädte mit etwa 5.000 Einwohnern oder mittelgroße Städte mit knapp 45.000 Einwohnern. In jeder gibt es Personengruppen wie Büroangestellte, Hausfrauen oder Schüler, die im aktuellen Zustand für ihr Ziel das Auto benutzen (ich hoffe, die Schüler fahren nicht alleine). Der Individualverkehr muss allerdings reduziert werden. Und da kommen wir ins Spiel.

Je nach Spielziel gibt es unterschiedliche Interessen. Das einfachste dürften noch die finanziellen sein, da muss bis zu einem bestimmten Jahr ein gewisser Firmenwert erreicht werden. Auch die Flächendeckung ist ein einfach zu erreichendes Ziel. Schwieriger sind da verkehrstechnische Angelegenheiten, etwa dass der ÖPNV zu einem bestimmten Prozentsatz genutzt wird, um zur Arbeit, zur Schule oder zu Freizeiteinrichtungen zu fahren. Oder die Verkehrsreduktion auf einen entsprechenden Wert.

Grüner wirds nicht

Eine Linie wird geplant. Solange sie nicht geschlossen ist, bleiben die Pfeile rot.

Die simpelste Art, den Verkehr zu reduzieren, sind Busverbindungen. Dafür werden Bushaltestellen an einigen Stellen in der Stadt aufgestellt. Farbliche Markierungen der Gebäude zeigen, wie wahrscheinlich es sein wird, dass die Leute dann diese Haltestelle verwenden würden, um zu ihrem Ziel zu kommen. An Gebäuden wie Schulen, Einkaufszentren, Veranstaltungshallen, Bürogebäude oder Fabriken ist es besonders sinnvoll, Haltestellen zu platzieren. Zudem gibt es noch besser ausgestattete Haltestellen. Je mehr Komfort sie bieten, etwa durch Heizungen oder Sitzplätze, desto attraktiver werden sie. Mit Vandalismus muss man sich nicht herumplagen. Das ist zwar weniger realistisch, aber so gibt es ein Problem weniger.

Dann wird die Linie geplant. Dabei wird ein Startpunkt auf der Straße ausgewählt und die Routenpfeile kreuz und quer durch die Stadt geführt. Stationen werden dabei mit einem großen „S“ dargestellt. So klickt man sich durch die Straßen, bis der Startpunkt sichtbar ist und die geschlossene Linie die vorher roten Pfeile grün erscheinen lässt. Das funktioniert recht gut, nur sollte man sich dabei nicht verklicken. Zum Glück erlaubt das Spiel bei der Planung Korrekturen.

Die Linie ist damit fertig und bereit, von Bussen befahren zu werden. Jetzt können Fahrzeuge gekauft werden. Vom kleinen günstigen Bus, der maximal 10 Personen fassen kann, bis hin zum großen teuren Bus mit Platz für bis zu 80 Personen gibt es – je nach Spielfortschritt – eine breite Palette an Bussen, die für die Linie eingesetzt werden können. Nach einem Kauf können diese der Buslinie zugewiesen werden. Beim ersten Bus wird eine Videosequenz abgespielt. Das passiert übrigens bei jedem ersten Fahrzeug und lässt sich nicht abschalten. Gerade im späteren Spielverlauf ist das nervig.

Alles läuft… ähh fährt nach Plan

Die Kundschaft wartet

Nun sind einige Busse in der Stadt unterwegs und es sollte nicht lange dauern, bis einige Leute das Angebot des ÖPNV nutzen möchten. An den Haltestellen wird die zugehörige Liniennummer, die Anzahl der wartenden Fahrgäste und die Wartezeit in Form eines Smileys dargestellt. Je freundlicher der Smiley ist, desto kürzer ist sie. Während das Spiel nur eine Handvoll Personen an Haltestellen darstellen kann, kann die Anzahl der Wartenden exorbitant hoch sein. Maximal 255 Personen können an einer Haltestelle auf den Bus warten.

Über den Bussen schwebt wiederum ebenfalls die ihm zugeteilte Linie und ein Kreisdiagramm, das darstellt, wie voll es darin gerade ist. Da es sich um ein Computerspiel und nicht um die Realität handelt, wird das Fahrzeug nur bis zur höchstmöglichen Kapazitätsgrenze ausgeschöpft. Ist so auch angenehmer und nachvollziehbarer.

Natürlich bietet das Spiel noch eine weitere Palette an Fahrzeugen, die aber Extraarbeit und verständlicherweise ein größeres Budget erfordert. Die nächste Stufe wären Straßenbahnen, für die man ebenfalls die Bushaltestellen und die bestehenden Straßen nutzen kann. Es müssen lediglich Schienen verlegt und eine neue Linie erstellt werden. Denn das Spiel unterscheidet die Linien bei der Wahl der Fahrzeuge strikt.

Ansonsten gibt es noch S-Bahnen, Schwebebahnen und Magnetschwebebahnen. Gerade die letzten zwei bewegen sich deutlich flotter als alles andere im Verkehrsgetümmel. Hier werden allerdings zwei Felder breite Schienen benötigt und vor allen Dingen viel Platz. Und wenn Platz benötigt wird, kostet das eine wahnsinnige Menge Geld. Wobei diese Fortbewegungsmittel stark dazu beitragen, den Individualverkehr zu reduzieren. Unverständlicherweise lassen sich etwa die (Magnet)schwebebahnen, die eindeutig nicht auf dem Boden platziert werden, nicht längs über eine Straße bauen. Quer über die Straße geht es, nur nicht der Straße entlang. Konstruktionen wie in den gerenderten Videosequenzen dargestellt bekommt man gar nicht erst hin.

“Nö, seh’ ich nicht.”

Eine volle Straßenbahn fährt durch die Innenstadt. Währenddessen beobachten wir eine andere Bahn unten rechts.

Nebenbei bemerkt darf man den Detailgrad der Städte nicht vergessen. Laut Verpackung gibt es über 500 verschiedene Gebäude. So wirkt das Spiel ein wenig wie Sim City, nur aus österreichischer Hand und mit verbesserten Texturen. Verschiedene Geräuschkulissen teilen dem Spieler mit, was sich in der aktuellen Umgebung befindet. Mal vom rechten, mal vom linken Lautsprecher. Die Menschen laufen am Gehweg, durch eine Gasse, fahren Skateboard oder schieben einen Kinderwagen. Selbst wenn die isometrische 2D-Ansicht bereits zur Jahrtausendwende als altbacken bezeichnet wurde, ist diese nett anzusehen. Und wer die Auflösung des Spiels auf mindestens 1024×768 Pixel setzt, kann mit einer weiteren Kamera jedes bewegliche Objekt beobachten. Zumindest die KI kann man so lange beobachten, bis sie plötzlich vom Erdboden verschluckt wird. Die damalige Technik eben.

Es lassen sich Informationen über die Gebäude abrufen. Dabei erfährt man nicht nur, welche Leute wohnen, sondern auch, welche Fortbewegungsmittel verwenden. Entweder verwenden sie einen unserer Linien oder ein PKW. Wenn diese ein PKW verwenden, wird angezeigt, warum sie das tun. Entweder sind die Preise „unverschämt teuer“, der Weg zur Arbeit, Schule, Freizeiteinrichtung etc. wäre zu lang oder es gibt keine Alternativen. Letzteres wird auch gerne behauptet, selbst wenn es Linien zum jeweiligen Gebäude gibt.

Finanziell bietet das Spiel keine großen Möglichkeiten, nicht einmal Kredite lassen sich aufnehmen. Was lediglich geht, ist die Anpassung der Fahrpreise inklusive spartanischer Zoneneinstellung, die Bezahlung der Fahrer und Werbung für die eigene Verkehrsgesellschaft. Mit einer besser bezahlten Weiterbildung verbessert sich der Fahrstil der Fahrer, mit einer besseren Bezahlung die Laune. Wobei diese bei übermäßiger Bezahlung sinken kann. Und der Fahrstil ist schon bei einer geringen Erhöhung der Weiterbildungskosten auf Top-Niveau.

Unfälle bei den Fahrzeugen können ebenfalls passieren. Angekündigt durch eine plötzliche Videosequenz wird die Meldung gezeigt, welches Fahrzeug gerade einen Unfall gebaut hat und dass es dadurch zu Beeinträchtigungen kommen kann. Auch leidet das Image des Verkehrsbetriebs, welches sich durch das Anbieten von Freikarten für Schüler oder für Fahrten zu Freizeitgebäuden verbessern lässt.

Diese Linie fällt aus

Ein Bus hatte einen Unfall. Das Image (siehe unten) hat Blessuren davon getragen.

Da mir die Verkaufsversion 1.0 vorlag, ist sie nicht ganz frei von Bugs. Eine Mission hat drei Stufen der Zielerreichung. Je mehr Ziele erreicht wurden, desto mehr Missionen werden freigeschaltet. Manchmal kommt es aber auch vor, dass ein Missionsziel deutlich mit Meldung erreicht wurde, aber die nächste Mission weiterhin gesperrt bleibt. Die Meldung kam aber auch gerne – trotz Erreichen eines Spielziels – ziemlich spät. Einmal fuhren die Busse nicht entlang ihrer Route, sondern dauernd im Kreis. Und das außerhalb (!) der vorgegebenen Strecke. So wurde die nächste Bushaltestelle vernachlässigt, die dann überquoll. Einmal ist das Spiel komplett ohne großartige Vorwarnung abgestürzt.

All diese Probleme traten gerne in Kombination mit der höheren Abspielgeschwindigkeit auf, die das Testsystem durchaus forderten. Doch mit dem Einspielen des Patches auf Version 1.4 lief es deutlich stabiler. Diesen kann man sich weiterhin problemlos von der offiziellen Website des Spiels herunterladen.

Zum Erscheinungszeitpunkt bemängelte die Fachpresse gerne die langen Ladezeiten der Karten. Es werden große Städte und teilweise viele Einwohner simuliert, das verlangt ordentlich Rechenpower. Zumindest beim Testsystem hielten sich die Ladezeiten im Rahmen. Das würde mit einem PC, der die Mindestanforderungen erfüllt (Pentium MMX 233, 32 MB RAM, 2 MB PCI-Grafikkarte, Win95/98) sicherlich anders aussehen.

Im Endlosspiel gibt es optionale Konkurrenz.

Das Spiel wurde gerne als „Selbstläufer“ verunglimpft. Tatsächlich ist es so, dass nach dem Anlegen von genügend Linien und Fahrzeugen die Spielziele ohne großes Eingreifen erreicht werden können. Kaffee machen, Frühjahrsputz machen, einkaufen gehen, danach war in der Regel die Mission geschafft. Um wirklich viel muss man sich eben nicht kümmern. Beim bloßen Zuschauen des ganzen Gewusels rennt wahrlich die Zeit und plötzlich sind so viele finanzielle Mittel vorhanden, dass der Fuhrpark prächtig erweitern werden konnte. Zumindest ist das bei den meisten Szenarios der Fall. Es gibt einige, bei denen man mit Miesen oder mit Lieferengpässen von Fahrzeugen beginnt.

Es fehlt ein Editor, um Sim-City-mäßig eine eigene Stadt zu kreieren. Außerdem gibt es bei den Endlosspielen nicht sofort das ganze Portfolio an Fahrzeugen. So wird einem die volle Breite des Spiels zu Beginn verwehrt, um mit den ganzen Features herumspielen zu können. Zu gerne hätte ich quer durch die Map ohne Anwendung von Cheats (Magnet)schwebebahnen gebaut, ohne dauernd aufs Budget gucken zu müssen. Das Abbauen von Gebäuden kostet nämlich eine ordentliche Stange Geld (etwa der Abriss eines Fußballstadions).

Alle Fahrgäste bitte aussteigen

Eine sündhaft teure Magnetschwebebahn

Der Gelegenheits-Tycoon wird durch die unkomplizierte Bedienung und der recht einfachen Spielbarkeit seine Freude am Verkehrsgiganten finden. Jedoch gibt es neben dem gigantischen Detailgrad auch gigantisch verschenktes Potenzial. Profis werden die Komplexität vermissen und bei einem voll ausgestatteten ÖPNV das Spiel als Benchmark-Test im Hintergrund laufen lassen. Das nett anzusehende Gewusel in den Städten lässt diese Schwächen aber fast schon wieder vergessen, weshalb Der Verkehrsgigant trotz verfehlten Top-Status seinen Charme hat.


Testsystem

Betriebssystem:Microsoft Windows Millennium Edition
Prozessor:AMD Athlon 1000
Grafikkarte:3dfx Voodoo5 5500
Soundkarte:Creative SoundBlaster Live! X Gamer CT4760
Festplatte:hat der Redakteur vergessen
Arbeitsspeicher:384 MB SDRAM

Daten zum Spiel

Titel:Der Verkehrsgigant
Erscheinungsdatum:2000
Entwickler:JoWooD Ebensee
Publisher:JoWooD Productions Software
System:Windows
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