Zum inzwischen zehnten Mal wurde das Next Level Festival ausgetragen. Am neuen Standort in Essen ging es um Balance, Gesellschaft und Journalismus von Videospielen.
Einst wurde hier das schwarze Gold aus den Tiefen des Ruhrgebiets befördert. Doch schon lange stehen die Anlagen still und grüne Flächen umringen die roten Backsteinhallen. Der Eiffelturm des Ruhrgebiets, so wird die Zeche Zollverein im Norden von Essen auch genannt, war Austragungsort des Next Level Festivals 2019. Vom 28. November bis zum 01. Dezember konnten Besucher in den Hallen 6 und 12 unterschiedliche Installationen aus dem Bereich der Videospiele betrachten und an einzelnen Stationen selbst aktiv werden. In diesem Jahr standen Gesellschaft, Demokratie und die Balance in Spielen im Vordergrund. Darüber hinaus hielten Spielejournalisten im angrenzenden Kokskohlebunker Vorträge über ihre Berufserfahrungen. Auch Workshops für Schulklassen wurden angeboten.

Ein Modell der Demokratie
Der größte Teil der Ausstellung war im zweiten Obergeschoss von Halle 12 zu finden. Hier fand der Spieleparcours Balancing Acts von Kurator Sebastian Quack und Szenografin Nina Westerdahl seinen Platz. Unter Verwendung von verschiedenen Sportgeräten konnten Besucher die Balance in Videospielen auf unterschiedlichen Bedeutungsebenen erfahren. Im wörtlichen Sinn war es möglich, durch das Laufen über eine Slackline ein kleines Quadrat durch eine Welt in Anxcity zu steuern und vor Kollisionen zu bewahren. Eine Bank, zwei Matten und eine VR-Brille simulierten in Richie’s Plank Experience hingegen das Erlebnis, über eine Planke zu laufen.
Übertragen steht der Begriff der Balance auch für ein juristisches Gleichgewicht, das auf Neutralität abzielt. Im Point-and-Click-Adventure Don’t Wake the Night geht es genau darum, diese Neutralität zu erreichen. Der Hauptcharakter ist ein Geist, der als Richter in einem Dorf von Hexen bestimmt wurde. Er selbst kennt das Leben auf der Erde nicht und muss sein Urteil auf Basis mitgehörter Gespräche fällen. Näher an der Realität ist im Gegensatz dazu You Be the Judge, ein Browserspiel der australischen Justizbehörde. Auch hier schlüpfen Spielende in die Rolle eines Richters. In kurzen Clips gibt es Informationen zum Hergang der Tat, zum üblichen Strafmaß und zum Verhalten der Angeklagten, bevor die Entscheidung über das Strafmaß ansteht. Die eigene Entscheidung wird letztlich mit der eines echten Richters und denen der bisherigen Teilnehmer verglichen.

Abseits davon versucht die Künstler-Gruppe Ubermorgen mit Studierenden der Ruhr-Universität Bochum herauszufinden, wie eine Künstliche Intelligenz auszusehen hat, um eine dystopische Zukunft zu vermeiden. Unter dem Namen They Oh!K agierte eine fiktive NGO, die die Besucher zum Beitritt aufgefordert hat. Dazu wurde ihnen jeweils eine Frage zur KI gestellt, die sie über den WhatsApp-Messenger beantworten sollten. Mitglieder erhielten als Erkennungszeichen eine kleine LED-Lampe zum Anstecken. Sie konnten sich danach frei über das Festival bewegen, erhielten aber über den Kurznachrichtendienst immer wieder die Aufforderung, bei kleinen Aufgaben mitzumachen. Zwar war die Teilnahme freiwillig, wurde aber durch die Vergabe von Punkten belohnt. Diese stellen den eigenen Status in der Organisation dar.
Auch im Nebenraum wurde ein Kampf um den eigenen Status ausgetragen. Dieser wurde allerdings in Geld beziffert. Dieses Planspiel stellte ein Modell der Demokratie dar. Die Regierung tritt gegen die Fabriken an. Die Presse möchte eigentlich nur ein stiller Beobachter sein, muss aber auch Geld verdienen. Über das Festival hinweg fanden mehrere Spielrunden statt. Diese lassen sich mit den Legislaturperioden vergleichen, da die nachfolgende Runde auf das bisherige Ergebnis aufbaut, genau wie in einer echten Demokratie. Als Hilfestellung durften die Teilnehmer ihren Nachfolgern mitteilen, welche Aktionen gut und welche weniger gut funktioniert haben. Kann im ewigen Ringen um Geld und Macht wirklich jemals ein Gleichgewicht erzielt werden, mit dem sich die Gesellschaft zufriedengeben kann?

Pixelhelden und Wortschubser
Ruhiger ging es in Halle 6 zu. Zwei lokale Studios präsentierten ihre aktuellen Spiele-Entwicklungen. Das Essener Team Sluggerfly zeigte den 3D-Platformer Hell Pie. Ziel ist es, die unterschiedlichen Level zu durchqueren und dabei die Zutaten für Satans Geburtstagskuchen zu sammeln. Backwoods Entertainment aus Bochum brachte eine Demo des Titels Resort mit. Autorin Laura Tanner reist nach Labernum Creek und versucht herauszufinden, was die Menschen antreibt trotz des bevorstehenden Kometeneinschlags dort zu bleiben.
Den Kontrast zu den aktuellen, unveröffentlichten Titeln bildete der Bereich des Herner Vereins Insert Coins. Mit Videospielautomaten, die seinerzeit in Einkaufszentren und Spielhallen standen, lieferten sie einen Blick in die Vergangenheit. Es war eine Zeit, in der die Spielgrafik noch Kreativität erforderte und zusammen spielen auch zusammen sein bedeutete. Um neues Altes zu entdecken oder in Erinnerungen zu schwelgen, standen unter Anderem Pac-man, Arkanoid und Out Run bereit und konnten auch ohne Münzeinwurf gespielt werden.

Weniger eigene Beteiligung, dafür umso mehr Berufserfahrung bot die Vortragsreihe Let’s Talk about Games. Am Freitag, dem 29. November, kamen Journalisten zusammen, um über ihre Arbeit zu berichten. Kulturwissenschaftler Christian Huberts (WASD Magazin) kritisierte den Umgang von Medien mit Videospielen. Oftmals würden sie von Zeitungen und deren Online-Ausgaben ins Digitalressort verschoben. „Bei der FAZ sogar bei ‚Technik & Motor'“, bekräftigt er. Das Problem sei nicht einmal immer der Journalismus selbst. Die Zielgruppe verstehe unter Kulturjournalismus eher „großes Theater und große Literatur“. Videospiele werden vorwiegend als Niedergang der Kultur verstanden, weniger als ein modernes Kulturgut.
Andreas Garbe (ZDF) lenkte den Blick in Richtung Vergangenheit. Er zeigte anhand verschiedener Fernsehbeiträge, wie über Videospiele berichtet wurde. Insbesondere nach den Amokläufen von Erfurt und Winnenden wurden Games oft als Auslöser festgemacht, obwohl es dafür keine eindeutigen Beweise gab. Aber auch in jüngerer Vergangenheit sei in Redaktionen eine negative Grundhaltung gegenüber von Computerspielen üblich gewesen. Er merkte an, dass Journalisten bevorzugt am, bereits zuvor durch Medien geprägte, Bild von Videospielen festhalten, anstelle durch Recherche differenzierte Berichterstattung zu liefern.

Die Zeche Zollverein ist längst nicht mehr schwarz, sondern ein bunter Ort der Vielfalt. Mit dem Next Level Festival 2019 wurde deutlich, welchen gesellschaftlichen und kulturellen Stellenwert Videospiele in Deutschland erreicht haben. Wie auch andere Formen der Kunst können sie Träger von Kontroversen und Auslöser für Debatten sein. Das Schaffen für ein solches Bewusstsein ermöglicht den Spielraum für die Entwicklung der Zukunft.