Der Kapitalismus hat längst gewonnen. Die Konglomerate haben die Regierung übernommen. Der nächste Coup: Ein Unternehmen will die Gefühle der Bürger kontrollieren.
Ein Mann stürzt aus einem Hochhaus. Voller Adrenalin behauptet er, dass er niemals damit gerechnet habe, einen derart epischen Tod zu sterben. Was ist hier eigentlich los? Noch einmal von Anfang an, bitte. Wir befinden uns in einer futuristischen Stadt, die zwar noch über eine Regierung verfügt, aber faktisch von 13 Unternehmen korporatokratisch geführt wird. Diese Art der Staatsmacht gefällt nicht jedem. Zu dieser Gruppe gehören auch die beiden Freunde Donovan und Brandeis.
Donovan ist Informationshändler und Barkeeper des „Red Strings Club“. Er besitzt die Fähigkeit, Drinks so zu mixen, dass sie die Emotionen der Gäste stimulieren und gelangt dadurch an Informationen. Brandeis ist hingegen auf technischer Ebene begabt und kann mit seinem Neuronal-Laufwerk in die unterschiedlichsten Systeme und Netzwerke eindringen. Diese Gabe ist von Nutzen, als sich plötzlich ein stark beschädigter Android der bislang unveröffentlichten Akara-Baureihe in die Bar schleppt.
Sogleich beginnt er, den Speicher auszulesen und erfährt, dass Ariadne, eine Freundin aus der Widerstandsbewegung, umgekommen ist, nachdem sie in die Fabrik der Supercontinent Ltd. eingedrungen ist. Dort hat sie erfahren, dass zukünftig alle Menschen die sogenannte Sozialpychische Fürsorge erhalten sollen. Ziel ist es, zukünftig alle negativen Emotionen zu blockieren. Brandeis und Donovan schmieden darauf hin einen Plan, mit dem sie dieses Vorhaben verhindern können.

Pixel so weit das Auge reicht
Optisch kann das Cyberpunk-Adventure trotz oder gerade wegen seiner Pixelgrafik überzeugen. Diese ist gut ausgearbeitet und detailreich gestaltet. Insbesondere die urbanen Szenen im Hintergrund profitieren davon. Gleiches gilt für die Animationen, die stets flüssig ablaufen. Etwas schade ist es aber, dass nicht die volle Fläche des Bildschirms genutzt wird. So sind oben und unten große, schwarze Balken zu sehen, die neben einer Handvoll Icons keine Funktion mit sich bringen. Eine ausklappbare Leiste am oberen Rand wäre eine ansehnlichere Alternative gewesen. Schön ist aber, dass sich die rote Farbe des „Red Strings Club“ durch die unterschiedlichen Schauplätze zieht.
Die Musik hält sich gut im Hintergrund und unterstreicht die allgemeine Atmosphäre des Spiels. Ihr fehlt es in den entscheidenden Momenten aber etwas an Varianz, leider findet sich diese in der Lautstärke der einzelnen Stücke wieder, sodass im Spielverlauf gelegentlich über das Menü nachjustiert werden muss. Einen rundum soliden Eindruck hinterlässt die Geräuschkulisse, die realistisch klingt und jederzeit zur Situation passt. Auf eine Vertonung der Charaktere müssen Spieler allerdings verzichten. Obwohl eine Synchronisation gerade im finalen Spielabschnitt interessant gewesen wäre, stört dies nicht weiter und lässt Raum für Interpretation.

Du blickst ins Glas, ich in dein Hirn
Der Spieler schlüpft im Verlauf der Geschichte in drei unterschiedliche Rollen: Donovan, Brandeis und den Androiden Akara-184. Im Gegensatz zu einem Point-and-Click-Adventure können die Charaktere nicht frei durch die Welt gesteuert werden. Stattdessen gibt es nur wenige Szenen, die der Spieler nicht verlassen und dort nur mit der direkten Umgebung interagieren kann.
Brandeis ist als talentierter Hacker immer auf der Suche nach neuen Daten und Informationen und fokussiert sich dabei auf Menschen. Gelangt er in Kenntnis der Gesundheits-ID einer Person, kann er dessen Stimme imitieren und mittels Social Engineering verdeckt weitere Informationen sammeln. Besonders nützlich ist das am Telefon. Dort muss der Spieler dann die entsprechenden Stimmen auswählen, die Brandeis nachahmen soll, um die Beziehungen der Personen so zu missbrauchen, dass er schrittweise an die gewünschten Informationen gelangt.
Auch Donovan sammelt Informationen, schließlich handelt er damit. Er arbeitet ausschließlich von seiner Bar aus, in der der Spieler die manipulativen Spirituosen mischen muss. Die jeweiligen Emotionen eines Gastes werden als Symbole dargestellt, die eingekreist werden sollen. Gesteuert wird der Kreis durch das Mischen von vier Getränken, die vier Richtungen vertreten. Eiswürfel im Glas verkleinern den Kreis. Später gibt es noch weitere Getränke, die die Ausrichtung des Kreises ändern und einen Shaker, der die Wirkung der Drinks verstärkt. Anfangs ist das Minispiel etwas knifflig und verlangt Ausprobieren und Feingefühl. Später ist es dann, auch aufgrund der häufigen Wiederholung, eher langweilig, geht dann aber flott von der Hand und stört den Spielfluss nicht weiter.
Nippt der Gast erst einmal an seinem Drink, verwickelt Donovan ihn in ein Gespräch, das er mit gezielten Fragen in die gewünschte Richtung lenkt. Zu beachten ist aber, dass die Antworten aus der jeweiligen Gefühlslage heraus erfolgen und davon abhängig sind. Es ist also wichtig, zu überlegen, welche Emotionen die gewünschten Informationen hervorrufen. Gleichermaßen müssen diese wieder von den Gefühlen getrennt betrachtet werden, um nützlich zu sein.

Künstlich und intelligent
Verlässt ein Gast die Bar nach einer Befragung, spielen Akara und Donovan ein Spiel, in dem jetzt Donovan der Befragte ist. Akara ermittelt so, ob der Spieler die Informationen richtig erfasst und von den Emotionen gelöst hat. Gleichzeitig geht es aber auch darum, den Gast als Menschen einzuschätzen und die Hintergründe seiner Emotionen zu verstehen.
Auch bei genauem Zuhören ist das nicht ganz einfach. Eine Übertragung von analogen Signalen, und dazu zählen auch Sprache, Mimik und Gestik, ist immer verzerrt und erfolgt nie verlustfrei. Nur der Betroffene selbst ist, wenn überhaupt, in der Lage, seine Emotionen zu verstehen.
Besonders interessant ist aber jeweils das Ende dieses Gesprächs. Akaras letzte Frage ist persönlich an Donovan gerichtet und will herausfinden, wie die Welt denn seiner Meinung nach aussehen würde, wenn er ein System anstelle der Sozialpsychischen Fürsorge implementieren könnte. Konkret handelt es sich dabei um Fragen, die das eigene moralische Wertesystem untersuchen. Fragen, die den freien Entscheidungswillen gegen den Schutz von Mensch und Gesellschaft abwägen, beispielsweise: „Sollen Menschen vergewaltigen können?“ oder „Sollen Menschen Suizid begehen können?“.
Es ist alles andere als einfach, Antworten darauf zu finden. Natürlich sollen Menschen einander kein Leid zufügen, natürlich sollen sich Menschen nicht selbst umbringen. Aber wer soll die Entscheidungsgewalt darüber haben? Und können Menschen überhaupt positive Emotionen empfinden, wenn es keine negativen gibt?
Unabhängig von der Antwort, die der Spieler auswählt, kontert Akara sofort mit einem Gegenargument und verwickelt Donovan in einen Dialog, in dem er seine Entscheidung begründen muss. Außerdem erkennt sie auch, dass moralische Grenzen keiner klaren Logik folgen, die sich immer anwenden lassen. Vielmehr beruhen ethische Vorstellungen auf persönlichen, nicht messbaren Eindrücken und Erfahrungen. Gleichwohl sind diese Grenzen damit nicht dauerhaft festgelegt, sondern variabel. Kann es überhaupt eine Ethik geben, nach der alle Menschen gleichermaßen zufrieden leben können?

Kritik an der Kritik
Im Gegensatz zu anderen Point-and-Click-Adventures rückt in The Red Strings Club die typische Spielmechnik, das Durchforsten von Orten und Kombinieren von Gegenständen, in den Hintergrund. Auch die verbliebenen Elemente sind bloßes Beiwerk. Stattdessen erzählt das Spiel im Cyberpunk-Stil eine Geschichte, in der es nicht nur darum geht, sich kritisch mit dem System, sondern auch kritisch mit der Gegenbewegung auseinanderzusetzen und die eigenen Moralvorstellungen zu hinterfragen.
Titel: | The Red Strings Club |
Erscheinungsdatum: | 22.01.2018 |
Entwickler: | Deconstructeam |
Publisher: | Devolver Digital |
System: | Linux, macOS, Windows |
Kaufen: | Humble Store¹, Steam |
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