Herr Ober? Einmal Retro zum Mitnehmen, bitte!

„Früher war alles besser“ ist eine typische Phrase. Diese Aussage lässt sich immer anzweifeln, nicht selten ist sie aber auch mindestens teilweise wahr. Selbstredend auch bei Videospielen.


Sowohl die Produktion als auch der Konsum und das Verständnis von Videospielen haben sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Das Spielen hat sich aus seiner Nische befreit und ist inzwischen auf dem Markt etabliert. Doch diese Entwicklung bringt auch Schattenseiten mit sich.

Verpackung und Zubehör
Der überwiegende Teil der aktuellen Spiele werden als Download erworben. Dateien, die auf einem Großrechner lagern und per Knopfdruck auf den eigenen Computer vervielfältigt werden können. Bequem. Aber nichts Greifbares. Alternative? Physische Kopie. Zum Glück noch nicht ganz ausgestorben, oder? Ob online bestellt oder im Laden gekauft, ganz so bequem ist das schon nicht mehr. Aber es ist ein Objekt, das ich anfassen kann. Jetzt aber installieren. Packung auf und Scheibe ins Laufwerk. Ernüchterung. Auf der DVD befindet sich nur eine Installationsdatei für den Client und eine Handvoll Spieldateien. Den Rest muss ich… herunterladen!?

Anfassen reicht mir also nicht, ich möchte das Produkt wertschätzen können, nein, ich möchte als Konsument Wertschätzung erfahren. Ich möchte wieder eine große, sperrige Pappschachtel. Ich möchte einen Datenträger mit dem kompletten Spiel, Registrier- und Referenzkarten, Begleithefte, Werbeflyer und ein Handbuch jenseits der 100 Seiten. Ich möchte doch nur ein vollständiges Spiel. Mehr nicht. Ein Spiel, das eine Symbiose mit seinem Zubehör bildet und kein Spiel, das erst in der limitierten Sammlerauflage Wertschätzung vermittelt.

Inhalt von Grand Prix 2

Installation, Patches und Clients

Erinnert sich noch jemand? Als im Installationsmenü zwischen Voll-, Standard- und Minimalinstallation ausgewählt worden konnte? Oft mit Angabe über den dann benötigten Speicherplatz, bevor ein eiliger Blick in die Eigenschaften der Festplatte prüfen sollte, ob es denn wenigstens noch für die mittlere Variante ausreicht. Verdammt. Reicht nicht. Welches andere Spiel muss jetzt weg? Obwohl die Minimalinstallation auch erst einmal genügen könnte. Die Platte räume ich später auf. Jetzt wird gespielt.
Das ist aber schon ziemlich mies. Man kann hier durch die Wand fahren und die Kurve abkürzen, darf aber nicht gegen die Leitplanke fahren. Sonst bleibt man daran hängen. Auf der nächsten PC Action ist sicher ein Patch dafür. Bis dahin läuft das auch so. Und falls nicht, kann ich das Spiel auch weiterverkaufen.

Terabytes. Speicherplatz im Überfluss. Nur das Internet ackert sich daran ab. Danke, Merkel (und Dobrindt!). Gigabyte um Gigabyte kriecht das Spiel durch die Leitung, als Vorab-Download, versteht sich. Darunter befinden sich riesige 4K-Texturen, die ich gar nicht brauche. Mein Bildschirm kann nur Full-HD und auch die Grafikkarte packt die Auflösung nicht. Auf die Zwischensequenzen möchte ich aber nicht verzichten. Warum kann ich das nicht einstellen? Bitte nur HD-Texturen, aber mit Zwischensequenzen, Herr Ober. Dafür gebe ich vielleicht sogar Trinkgeld. Immerhin ist der Download inzwischen fertig. Jetzt nur noch auf den Release-Termin warten.
Gleich ist es 19:00 Uhr. Das Spiel wird freigegeben. Moment, nein. Bitte nicht. Noch ein Patch, der zuerst installiert werden muss, bevor das Spiel gestartet werden kann. Mir sind die Bugs erst einmal egal. Ich möchte jetzt spielen. Warum kann der Patch nicht einfach später installiert werden? Spielen. Jetzt.

Erweiterungen

Ein neues Schwert: 1,99 €. Ein zusätzliches Auto: 4,99 €. Ein komplettes Spiel: unbezahlbar. So lassen sich die geläufigen Finanzierungsmodelle der modernen Spieleindustrie beschreiben. Einige, vorwiegend größere, Publisher setzen darauf, Spiele nicht mehr komplett zu verkaufen, sondern nur noch ein Basisspiel auszuliefern, das erst durch den Kauf von DLCs zu einem ganzen Spiel wird. Zwar können einige Gegenstände klassisch erspielt werden, aber viele, essenzielle Teile des Spiels, manchmal sogar ganze Kartenabschnitte oder Missionen, müssen zusätzlich erworben werden.

Ist es denn nicht möglich, dass ich einen vollen Preis für ein vollständiges Produkt bezahle? Schließlich gehe ich nicht in die Bäckerei und kaufe ein Brot, muss aber Mohn, Sesam und Sonnenblumenkerne gesondert bezahlen. Stattdessen bekomme ich ein Dreikornbrot zu einem festen Preis. Dieser ist womöglich höher als der des Graubrots, aber wenigstens handelt es sich dabei um ein planbaren Geschäft.

Das hat doch früher auch funktioniert: ich kaufe ein Spiel, verbringe über Monate immer wieder gern Zeit damit, habe Spaß mit einem kompletten Spiel. Inzwischen ist eine Erweiterung erschienen. Nun kann ich prüfen, ob mir die Inhalte, die hinzugefügt werden, zusagen und ich noch einmal eine Zeit lang Freude daran haben kann. Die Erweiterung benötigt zwar das Hauptspiel als Unterbau, aber ich kann dennoch inhaltlich zwischen beiden Produkten differenzieren.

N.I.C.E. 2 und Tune-Up-Erweiterung

Mutige Publisher

Alle großen Publisher verfügen über Spieleserien, die in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen eine Fortsetzung bekommen. Das bedeutet nicht einmal, dass diese Spiele schlecht sind. Ganz im Gegenteil handelt es sich dabei um hochqualitative Spiele, die den Ansprüchen der meisten Spieler gerecht werden. Und genau hier liegt das Problem. Das elfte Battlefield, das vierzehnte Call of Duty und auch das dreiundzwanzigste Need for Speed finden noch immer Anklang in der Spielerschaft.

Die neuen und innovativen Ideen stammen oftmals von Indie-Entwicklern. Erst, wenn sich die Konzepte als kommerziell erfolgreich beweisen, schließen sich die Etablierten dem Trend an. Alternativ werden auch alte, fast vergessene Konzepte aus dem Tiefkühlfach genommen, in der Mikrowelle aufgewärmt und als frisches, hausgemachtes Menü verkauft.

Spielemagazine und Demo-CDs

Vom Kiosk, im Abo oder übers Wochenende vom Kollegen geliehen: die Spielezeitschrift. Es war ein kleiner Glaubenskrieg zwischen den Lesern. PC Games oder PC Player? Oder doch lieber die etwas jüngeren Magazine, PC Action und GameStar? Eine ganz wichtige Gemeinsamkeit hatten sie aber alle, nämlich die mitgelieferte Datenscheibe auf der Treiber, Patches, Video-Clips und natürlich Demos untergebracht waren. Stunden um Stunden ließen sich damit totschlagen und so ganz nebenbei war es möglich, sich, unabhängig der Wertung des Redakteurs, ein Bild des Spiels machen zu können. Inzwischen sind die Demos weitgehend ausgestorben. Einige Indie-Publisher versuchen sie noch künstlich am Leben zu erhalten und bekommen dabei noch geringfügige Unterstützung durch Sportspiele.

Und auch die Spielemagazine selbst haben das Ende ihres Lebenszyklus erreicht. Mit der Verbreitung von DSL-Flatrates sanken die Verkaufszahlen, die beigelegten CDs waren obsolet geworden. Informationen, Patches und Demos konnten nun schnell und kostenfrei aus dem Netz heruntergeladen werden. Der Großteil der Zeitschriften haben diese Entwicklung nicht überlebt. Die letzten Überlebenden klammern sich teilweise an Onlineabos oder spezielle Kooperationen mit Publishern, können aber insgesamt weder quantitativ noch qualitativ mit den damaligen Pendants mithalten.

Diverse Demo-CDsSchlusswort

Früher war sicher nicht alles besser. Aber durchaus einiges. Die technische Entwicklung und die Verbreitung von Spielen in der Gesellschaft haben zu einer Wegrationalisierung der klassischen Konsumelemente der Gaming-Branche geführt.
Anstelle einer Nische muss jetzt ein sehr großer, sehr unterschiedlicher Markt bedient werden, der von Kompromissen und Verkaufszahlen lebt. Ein Lichtblick sind jedoch die Kleinen und Unabhänigen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diese Nische wieder zu bedienen und so am Leben zu erhalten.

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